Rechtsanwalt Armin Fiand
Minsbekweg 4 a
22399 Hamburg
Telefon: 040-6029610
Fax: 0180-505254229681
e-mail: fiand@t-online.de
Offener Brief
an den

Herrn Bundespräsidenten
Johannes Rau
Spreeweg 1
Schloß Bellevue

10557 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Rau,

Sie haben vor einigen Tagen ein Ende der Debatte über die politische Vergangenheit unseres Außenministers Joschka Fischer gefordert. "Wenn sich jemand öffentlich entschuldigt, ist der Vorgang abgeschlossen", erklärten Sie im Fernsehsender n-tv. Sie nähmen es dem Bundesaußenminister ab, dass ihm die damaligen Geschehnisse leid täten. "Man sollte die Geschichte aufarbeiten, aber man sollte es redlich machen und die verbalen Schlagstöcke weglassen", sagten Sie.

Auf diese Äußerungen haben die Unionsparteien und die FDP mit deutlicher Kritik reagiert. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz erklärte, es entspreche guter Tradition, dass sich der Bundespräsident nicht in aktuelle innenpolitische Debatten einmische und "sich dadurch dem Verdacht aussetzt, Partei nehmen zu wollen."

Ich teile diese Kritik nicht, weil die Angriffe der genannten Parteien gegen Joschka Fischer das ersichtliche Ziel haben, die gesamte 68er-Bewegung in Mißkredit zu bringen.

Für meine Begriffe hat auch der Bundespräsident das Recht, wenn nicht gar mitunter die Pflicht, sich zu aktuellen politischen Themen zu äußern, sofern sie von grundsätzlicher Bedeutung sind. Wenn ich gleichwohl an Ihrem Vorgehen etwas auszusetzen habe, so deshalb, weil ich Zweifel habe, ob Joschka Fischer jemand ist, der die Wohltat Ihrer Worte verdient.

Es fällt auf, daß Joschka Fischer sich nicht aus freien Stücken, sondern erst dann entschuldigt hat, als ihm in Anbetracht der Veröffentlichungen in den Medien, vor allem der Fotos, die zeigen, daß er aktiv daran teilgenommen hat, einen Polizisten zu verprügeln, nichts anderes mehr übrig blieb. Es ist nach wie vor mit einem Fragezeichen zu versehen, wie sehr Joschka Fischer tatsächlich in die Ereignisse verstrickt war. Solange es hierauf keine abschließenden und zufriedenstellenden Antworten gibt, ist es unangebracht, eine öffentliche Entschuldigung als geeignetes Mittel für eine umfassende Absolution anzusehen. Die deutsche Öffentlichkeit - und nicht nur sie - hat ein berechtigtes Interesse zu erfahren, welche politische Vergangenheit ein Mann hat, der sich zwar als guter Außenminister profiliert hat, dessen politische Biographie aber dunkle, bisher nicht hinreichend aufgeklärte Punkte aufweist.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in der Bundestagsdebatte am 17.01.2001 im Anschluß an die Fragestunde zu Joschka Fischers Vergangenheit den Unionsparteien "Selbstgerechtigkeit, Jagdfieber und Heuchelei" vorgeworfen. Das sehe ich auch so, nur wesentlich allgemeiner, als das Problem unserer Politik überhaupt. An zwei Beispielen möchte ich Ihnen das verdeutlichen.

Obwohl das Grundgesetz einen Angriffskrieg verbietet und die Vorbereitung und erst recht die Durchführung eines solchen Krieges mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, hat sich Deutschland am Krieg der Nato gegen Jugoslawien beteiligt. Dieser Krieg war ein Angriffskrieg. Er war völkerrechtswidrig. Niemand wird in der Bundesrepublik dafür zur Rechenschaft gezogen. Es wird so getan, als wäre alles in bester Ordnung.

Sie werden sich erinnern, wie sehr sich die Befürworter der Nato-Aktion am Anfang gescheut haben, das Wort "Krieg" überhaupt in den Mund zu nehmen. Es war von einem "Polizeieinsatz" die Rede, was bei mir unangenehme Erinnerungen an den
1. September 1939, den Tag des Überfalls Deutschlands auf Polen, ausgelöst hat. Auch Hitler sprach damals nicht von Krieg, sondern von einem Polizeieinsatz, der den Zweck habe, die deutsche Minderheit in Polen vor den brutalen Übergriffen der polnischen Mehrheit zu schützen

Dann einigte man sich schließlich auf die Worte "humanitäre Aktion" weil es tatsächlich Völkerrechtler - wenn auch nur einige wenige - gibt, die eine Gewaltaktion aus humanitären Gründen gegen einen anderen Staat, ohne den Segen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu haben, also unter seiner Ausschaltung, als gerechtfertigt ansehen. Dabei haben die Befürworter des Krieges jedoch übersehen, daß es nicht ausreicht, die Worte "humanitäre Aktion", wenn auch mehrere Male hintereinander, aufzusagen, um die Intervention zu rechtfertigen, sondern daß ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Der Staat, gegen den sich die Intervention richten soll, muß sich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig machen. Die Mittel, die eingesetzt werden sollen, müssen geeignet sein, diesen Verletzungen ein Ende zu bereiten. Es muß schließlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, d.h. durch die Intervention darf kein größerer Schaden angerichtet werden als der, der ohne die Intervention entstehen würde.

Ich habe mich schon im Frühjahr 1999 gefragt, warum sich die verantwortlichen Politiker in unserem Lande nicht die Mühe machen, dies in einem völkerrechtlichen Werk einmal nachzulesen. Dann wären die zähen Diskussionen darüber, ob der Krieg zulässig sei oder nicht, eigentlich entbehrlich gewesen.

Nicht Sie, aber Ihr Vorgänger Roman Herzog, hat damals die eingängige, aber gleichwohl falsche Parole von der "Nothilfe" ausgegeben. Ich habe als Jura-Student in den Anfangssemestern gelernt, daß sich die Nothilfehandlung immer nur gegen den Angreifer, nicht aber gegen unbeteiligte Dritte richten darf. Angreifer in diesem Sinne waren die "militärischen und halbmilitärischen Verbände" des damaligen jugoslawischen Präsidenten Milosevic. Angreifer war nicht die "serbische Zivilbevölkerung", gegen die sich die Luftangriffe der Nato in den letzten Phasen des Krieges aber verstärkt, um nicht zu sagen: fast ausschließlich, gerichtet haben. Nach den Feststellungen des englischen Generals Sir Michael Rose, des Kommandeurs der UN-Schutztruppe in Bosnien 1994, war der 78 Tage dauernde Luftkrieg der Nato der intensivste, den es bisher in der Geschichte der modernen Kriege gegeben hat.

Die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine "humanitäre Aktion" der Nato gegen Jugoslawien lagen nicht vor. Damit war der Krieg völkerrechtswidrig, gleich ob man der Meinung der Mehrheit der Völkerrechtler oder der der Minderheit folgen will.

Noch bis in den März 1999 hinein war das Auswärtige Amt in seinen Stellungnahmen an die Verwaltungsgerichte, die über die Asylanträge von Kososvo-Albanern zu entscheiden hatten, davon ausgegangen, daß sich eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung nicht feststellen lasse. Das Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte sei nicht gegen die Kosovo-Albaner als ethnisch definierte Gruppe gerichtet, sondern gegen den militärischen Gegner, die UCK, und dessen tatsächliche oder vermutete Unterstützer. Erst Ende März 1999, als der Krieg gegen Jugoslslawien schon begonnen hatte und die Bundesregierung unter einem großen Rechtfertigungsdruck stand, vollzog das Auswärtige Amt eine Kehrtwendung um 180 Grad, indem es nun plötzlich von "Völkermord", "Deportationen" und "ethnischen Säuberungen" sprach, denen die Albaner im Kosovo schon seit langem ausgesetzt seien.

Im Kosovo hat es vor dem Eingreifen der Nato keine schwersten oder schwere Menschenrechtsverletzungen der serbischen Behörden zum Nachteil der Kosovo-Albaner gegeben. Vielmehr gab es, was im Einklang steht mit den ursprünglichen Erkenntnissen des von Joschka Fischer geleiteten Auswärtigen Amtes, Kampfhandlungen zwischen den jugoslawischen Sicherheitskräften und der albanischen Befreiungsarmee. Das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen Militärs und der Polizei seit Februar 1998 bezog sich auf die separatistischen und terroristischen Aktivitäten der militärischen Untergrundbewegung der UCK. Zweifelsohne sind bei diesen Kämpfen Menschenrechtsverletzungen begangen worden, aber von beiden Seiten. Die Nato hatte kein Recht, sich einzumischen, um der einen, der albanischen, Seite zum Siege zu verhelfen.

Das (angebliche) Ziel, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden, war mit Schlägen aus der Luft nicht zu erreichen. Dieses Ziel hätte, wenn überhaupt, nur durch den Einsatz von Bodentruppen realisiert werden können, wozu sich die Nato aber zu schade war. Eine "humanitäre Katastrophe" ist durch die Nato-Aktion nicht verhindert, sondern durch sie erst ausgelöst worden. Das wird heute selbst von führenden Militärs der Nato eingeräumt. Militärische Sachverständige hatten von Anfang an darauf hingewiesen, daß die Aktion der Nato, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, ungeeignet sei. Zu den Gegnern des Nato-Einsatzes gehörten außer dem bereits erwähnten General Sir Michael Rose auch Lord Carrington, der ehemalige Generalsekretär der Nato.

(Die ARD bringt zu diesem Thema am 08. Februar 2001 um 21:45 Uhr eine Dokumentation mit dem Titel "Es begann mit einer Lüge - Deutschlands Weg in den Kosovo-Krieg". Diese Sendung sollten sich vor allem diejenigen ansehen, die immer noch der Auffassung sind, die deutsche Bundesregierung habe die Wahrheit - und nichts als die Wahrheit - gesagt).

Die militärische Seite der Erfogsbilanz des Nato-Krieges sieht entsprechend dürftig aus. Am Ende des Kosovo-Krieges ist, wie es der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Walter Kolbow auf den Nenner gebracht hat, eine "fast intakte serbische Armee" aus dem Kosovo abgezogen.

Die zivile Seite der Bilanz ist dagegen wesentlich ergiebiger. Die Bomber der Nato haben die Infrastruktur Jugoslawiens weitgehend zerstört. Ich versage es mir, die Einzelheiten darzustellen, weil sie hinreichend bekannt sind. Die Nato-Aggressoren (ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist nun einmal nichts anderes als eine bewaffnete Aggression) haben selbst vor Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern und kulturellen Denkmälern nicht Halt gemacht.

Unter dem Deckmantel der Wahrung der Menschenrechte sind massivste Menschenrechtsverletzungen zu Lasten der serbischen Zivilbevölkerung begangen worden. Die Nato hat nicht nur Splitterbomben eingesetzt, deren Wirkung auf Menschen so verheerend ist, daß die Bomben international geächtet sind, sie hat auch Uranmunition verwendet, durch die nicht nur die Zivilbevölkerung in Jugoslawien auf Jahre hinaus einer erheblichen Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt ist, sondern sogar die eigenen, im Kosovo eingesetzten Soldaten der Friedenstruppe in Gefahr geraten, an Leukämie zu erkranken oder sogar daran zu sterben. Dies wird zur Zeit in den Medien lebhaft diskutiert.

Durch die Nato-Bombardements sind ca. 2.500 bis 10.000 serbische Zivilisten ums Leben gekommen. Die Schätzungen schwanken.

Das zynisch-menschenverachtende Wort vom "unbeabsichtigten Kollateralschaden", das mit Recht später zum Unwort des Jahres 1999 erklärt worden ist, dürfte noch gegenwärtig sein. Ich erinnere mich an kein Regierungsmitglied, das bei der Nato darauf gedrungen hätte, von diesem Sprachgebrauch, der aus dem "Wörterbuch des Unmenschen" stammen könnte, Abstand zu nehmen.

Wer richtig zählen kann und das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgt, müßte eigentlich spätestens jetzt gemerkt haben, daß etwas an der Rechtfertigungsthesen der Nato und der deutschen Bundesregierung nicht stimmen kann.

Vor und zu Beginn der Aktion trat die Bundesregierung, allen voran der Bundesverteidigungsminister Scharping, aber auch der Bundesaußenminister Fischer, mit Schreckensszenarien und Horrorzahlen hervor, um die Beteiligung Deutschlands an dem Krieg zu rechtfertigen und die Bevölkerung auf den Krieg einzustimmen. Es war von Massenvertreibung, Massenvernichtung, Massenmord, Völkermord und von unzähligen Massengräbern mit bis zu Hunderttausenden von Toten die Rede. Das Wort von einer drohenden Wiederholung des Holocaust wurde bemüht. Dem Holocaust sind bekanntlich zwischen 5,6 und 5,8 Mio Menschen zum Opfer gefallen.

Gleich nach dem Einmarsch der UN-Friedenstruppen in das Kosovo begann eine fieberhafte Suche der Nato-Verbände nach Massengräbern, um den Einsatz der Nato noch nachträglich rechtfertigen zu können. Gefunden bzw. ausgegraben hat das vom Internationalen Straftribunal in Den Haag eingesetzte Expertenteam die Überreste von ca 4.000 Menschen. Das ergibt sich aus dem neuesten Bericht der Chefanklägerin beim Internationalen Straftribunal für das frühere Jugoslawien, Frau Carla Del Ponte, vom 20.12.2000.

Unklar ist, inwieweit es sich hierbei um Menschen albanischer oder serbischer Volkszugehörigkeit handelt und wie sie genau zu Tode gekommen sind, d.h. wer wen auf welche Weise umgebracht hat. Es kann sein, daß es sich um ethnische Albaner handelt, die von den Serben umgebracht worden sind. Es kann sich ebenso gut um Serben/ethnische Serben handeln, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, die sich die albanische Befreiungsarmee, die UCK, hat zuschulden kommen lassen. Es kann sich schließlich aber auch um Opfer der Bombenangriffe der Nato handeln, der - um das zu wiederholen - intensivsten Angriffe, die bisher in der Kriegsgeschichte zu verzeichnen sind. Es ist anzunehmen, daß die Zahl der zivilen Opfer in einem reziproken Verhältnis zur Häufigkeit und Intensität dieser Angriffe steht.

Gesicherte Erkenntnis ist, daß die in den Massengräbern vorgefundenen Menschen nicht vor, sondern erst nach dem Beginn des Nato-Krieges getötet worden sind. Das wird Ihnen die Chefanklägerin des Straftribunals für das Gebiet des früheren Jugoslawiens in den Haag, Frau Carla Del Ponte, gern bestätigen.

Der von Herrn Scharping präsentierte "Hufeisenplan" war eine Erfindung. Er war nicht von der serbischen Armee, sondern auf Grund von dubiosen Informationen des bulgarischen Geheimdienstes im Bundesverteidigungsministerium angefertigt worden.

Zur Zeit ist viel vom Bericht der finnischen Gerichtsmediziner über die Opfer des "Massakers von Racak" die Rede. Ob nun die Mediziner zu dem Ergebnis kommen, daß es ein solches Massaker nicht gegeben hat oder ob sie zu dem Ergebnis kommen, daß ein solches Massaker nicht wahrscheinlich sei, wenn auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, spielt keine Rolle: Denn wenn es so, aber auch anders gewesen sein kann, ist das angebliche Massaker kein geeignetes Beweismittel mehr, mit dem man den Nato-Einsatz rechtfertigen könnte. Die Bilder von den albanischen zivilen Opfern der serbischen Schergen gingen im Januar 1999 durch die Weltmedien. Das "Massaker von Racak " war einer der Hauptgründe, weshalb die Nato Jugoslawien mit einem Krieg überzogen hat. Außenminister Fischer sprach damals davon, daß Racak einen "Wendepunkt" darstelle. Dabei hatten schon zu dieser Zeit Journalisten, die sorgfältig recherchiert hatten, darauf hingewiesen, daß die Behauptungen der serbischen Behörden auf Grund der örtlichen Befunde durchaus als glaubwürdig angesehen werden könnten. Diese Behauptungen gingen dahin, daß es sich bei den Opfern nicht um Dorfbewohner, sondern um UCK-Angehörige handele , die im Kampf gefallen seien und nachträglich von den Albanern als zivile Opfer hergerichtet und als solche der Öffentlichkeit präsentiert worden seien, um die Nato zum Eingreifen zu bewegen.

Sie werden mir zustimmen: Nicht die Gegner des Nato-Einsatzes haben zu beweisen, daß der Krieg der Nato ungerechtfertigt war. Vielmehr haben die, die ihn angeordnet oder verbal unterstützt haben, zu beweisen, daß die Nato berechtigt war, einzugreifen. Andersherum hätten es die Befürworter des Krieges zwar gern. Aber es gibt nicht die geringste Vermutung dafür, daß ein Krieg schon deshalb legitimiert ist, weil er von der NATO begonnen wird, in der die USA bestimmen, wer Recht und wer Unrecht hat.

Deutschland ist durch Un-und Halbwahrheiten seiner Regierung in einen völkerrechtswdrigen Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien hineingezogen worden.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Was gibt einem Staat, der nichts dabei findet, einen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen bzw. sich an einem solchen Krieg zu beteiligen, also einem Staat, der sich insoweit über das Gesetz und die Verfassung hinwegsetzt, eigentlich das Recht, über andere mit der Begründung zu Gericht zu sitzen, sie hätten Recht und Gesetz nicht beachtet? Ich spreche damit das zweite Beispiel, die Aufarbeitung des sogenannten DDR-Unrechts durch die Justiz in der Bundesrepublik, an. Die bundesdeutsche Justiz hat die, die in der DDR für das Grenzregime Verantwortung trugen, kriminalisiert und wegen der Toten an der Mauer wie gewöhnliche Totschläger teilweise für mehre Jahre hinter Gitter geschickt.

Die Mauer war keine Einrichtung der DDR, sie war eine Einrichtung der Warschauer Paktstaaten. Die Grenze zwischen der BRD und der DDR war keine innerdeutsche Grenze. Sie war die Grenze zwischen zwei Machtblöcken, dem der Nato und dem des Warschauer Paktes. Alle, die diesem Pakt angehörten, waren für das damit verbundene Grenzregime verantwortlich, vornehmlich die damalige Sowjetunion, die im Pakt das Oberkommando und damit das Sagen hatte. Wie kommt es, daß ein Mann wie Gorbatschow, der von bis 1985 bis 1991 Generalsekretär der KPdSU und damit praktisch der erste Mann der Sowjetunion war, in der Bundesrepublik umjubelt und hochdekoriert wird, die Verantwortlichen der ehemaligen DDR jedoch ins Gefängnis geschickt werden? Auch Gorbatschow hielt die Mauer für unentbehrlich. Er schrieb 1986, als er Ost-Berlin besuchte, den DDR-Grenzern am Brandenburger Tor ins "Goldene Buch":

"Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wie viel Kraft und wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf Deutschem Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen. Das Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR sowie das enge Zusammenrücken der Brudervölker im Rahmen des Warschauer Vertrages. Ewiges Andenken den Grenzsoldaten, die ihr Leben für die DDR gegeben haben."

Wie kommt es, daß man nur die Toten an der Mauer zählt , nicht jedoch zur Kenntnis nehmen will, daß sich ohne das besonnene Verhalten der DDR-Regierenden in den Herbsttagen des Jahres 1989 die friedliche Revolution der Bürger in der DDR überhaupt nicht hätte vollenden können? Wenn Egon Krenz den bewaffneten Kräften der DDR nicht ausdrücklich den Befehl gegeben hätte, von der Schußwaffe keinen Gebrauch zu machen, hätte der Volksaufstand mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in einem Blutbad mit unabsehbaren Folgen für die weltpolitische Stabilität geendet. Am 03. Oktober 2000 wäre keine Gelegenheit gewesen, den zehnten Jahrestag der deutschen Vereinigung zu feiern.

Die Bundesrepublik meint, daß alle Verurteilungen streng nach rechtsstaatlichen Maßstäben erfolgt seien. Das kann man auch ganz anders sehen, nämlich so, daß die Verurteilungen rechts- und verfassungswidrig sind.

Ich darf Ihnen sagen, daß mein Kollege Helmut Walther aus Baden-Baden (er gehört der CDU an) und ich (zu meinem politischen Standort sage ich Ihnen am Schluß meines Schreibens etwas), gegen die Richter, die beispielsweise an der Verurteilung von Egon Krenz, dem letzten Staatsratsvorsitzenden, mitgewirkt haben, Strafanzeige wegen des Verdachts der Rechtsbeugung erstattet haben. Da es zu weit gehen würde, die Einzelheiten an dieser Stelle wiederzugeben, füge ich kurzerhand eine Kopie meiner ausführlich begründeten Anzeige bei (Anlage).

Was Herrn Walther und mich besonders irritiert hat, ist die Tatsache, daß die Richter einen unbestimmten Rechtsbegriff, nämlich den der "anerkannten Menschenrechte" als Begründung für die Verurteilung herangezogen haben, der so vage ist wie seinerzeit der Begriff des "gesunden Volksempfindens", der zu NS-Zeiten eine unrühmliche Rolle gespielt hat, nämlich immer dann als Lückenbüßer herhalten mußte, wenn die Nazi-Richter nicht weiter wußten, d. h. den Angeklagten nach dem Strafgesetzbuch hätten freisprechen müssen, aus politischen Gründen jedoch eine Verurteilung für zweckmäßig hielten. Ich habe, als das Urteil gegen Egon Krenz erging, nicht in den Chor derjenigen eingestimmt, die die Verurteilung als juristische Meisterleistung begrüßt haben, sondern mich in einem am 02.09.1997 von der FAZ abgedruckten Leserbrief sehr negativ dazu geäußert. Ich habe geschrieben:

Ein Urteil ohne solide Rechtsgrundlage

Das Resümee, daß das Berliner Landgericht im sogenannten Politbüro-Prozeß wegen der Toten an der innerdeutschen Grenze ein gerechtes Urteil gesprochen habe, kann ich nicht nachvollziehen. Ich halte das Urteil für ungerecht. Das Landgericht Berlin hat, auch wenn man das nicht wahrhaben will, einen politischen Prozeß geführt. Es ging ihm nicht um die individuelle Schuld der Angeklagten, sondern darum, mit einem "politischen Unrechtssystem" abzurechnen. Wäre es um individuelles Unrecht gegangen, hätten die Angeklagten freigesprochen werden müssen. Zweifelsohne ist für die Beurteilung von Straftaten, die in der ehemaligen DDR begangen worden sind, das Strafrecht der DDR anzuwenden. Nach den Vorschriften der DDR über das Grenzregime, wie sie in der Staatspraxis ausgelegt und angewendet wurden, war es "gerechtfertigt", auf DDR-Flüchtlinge zu schießen (und sie notfalls zu erschießen), wenn sie versuchten, die Grenzanlagen zu überwinden. Darüber zu streiten, ob eine solche Regelung human war, ist müßig. Sie war jedenfalls DDR-Wirklichkeit. Es ist nicht möglich, die Verfassung und die Gesetze der DDR nach bundesrepublikanischem Verständnis auszulegen.

Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes enthält das Verbot rückwirkender Strafgesetze. Er läßt eine Bestrafung nur zu, wenn die Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung mit hinreichender Bestimmtheit in einem gesetzlichen Tatbestand mit Strafe bedroht ist. Diese Vorschrift verbietet es auch, die Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat nachträglich zum Nachteil des Täters zu ändern. Deshalb ist ein bei Tatbegehung gesetzlich geregelter Rechtfertigungsgrund weiter anzuwenden, auch wenn dieser im Zeitpunkt des Strafverfahrens entfallen ist. Was nach DDR-Strafrecht straffrei war, kann nicht nachträglich nach BRD-Recht strafbar sein. Das ist die Quintessenz dieser Grundsätze. Spätestens hier würde sich nach rechtsstaatlichen Grundsätzen eine unüberwindliche Hürde für die Bestrafung der ehemaligen Politbüromitglieder auftun.

Über diese Hürde kommt man nur, wenn man einen Kunstgriff anwendet, nämlich sich auf "überpositive Normen" beruft, wie es das Landgericht Berlin - im Einklang mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes in seiner grundsätzlichen Entscheidung über die erfolglosen Verfassungsbeschwerden ehemaliger Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates (Albrecht, Keßler und Streletz) - tut: Man muß Zuflucht zu der Konstruktion nehmen, daß der durch Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes geschaffene strikte Schutz von Vertrauen dann verdrängt werde, wenn der andere Staat, wie hier die ehemalige DDR, die Strafbarkeit für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts durch Rechtfertigungsgründe ausschließe, indem er über geschriebene Normen hinaus zu solchem Unrecht auffordere, es begünstige und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachte.

Im Grunde ist aber das sogenannte überpositive Recht nichts anderes als ein Einfallstor des politisch motivierten Maßnahmerechts. Gerade die antidemokratischen Kräfte in der Weimarer Republik und vor allem die Machthaber des Dritten Reiches waren es, die den Grundsatz der Geltung überpositiven Rechts bemüht und überstrapaziert haben, um sich vom gesetzten Recht zu lösen und an seine Stelle das "Führerrecht" oder das, was "gesundem Volksempfinden" entsprach, treten zulassen. Dem (gesunden oder ungesunden) Volksempfinden mag das Urteil des Landgerichts ja entsprechen. Eine solide Rechtsgrundlage für eine Bestrafung ist dieses Empfinden aber nicht. Das Berliner Urteil beweist einmal mehr, daß es unmöglich ist, historische Vorgänge mit Mitteln des Strafprozesses aufzuarbeiten. Die deutsche Justiz hat in der Weimarer Zeit versagt. Sie hat im Dritten Reich versagt. Sie hat versagt, als es darum ging, die nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie wird auch die DDR-Vergangenheit nicht bewältigen können.

Als selbstgerecht und heuchlerisch, um auf die Worte von Gerhard Schröder zurückzukommen, betrachte ich es, wenn sich die Bundesrepublik auf die Menschenrechte beruft, um damit einerseits einen rechtswidrigen Angriffskrieg zu rechtfertigen, dem innerhalb von einigen Wochen mehre tausend serbische Zivilisten zum Opfer gefallen sind, andererseits aber über die Gericht zu sitzen, die in der DDR das Grenzregime des Warschauer Paktes ausgeführt haben. Durch das Grenzregime sind, wie die zuständige Staatsanwaltschaft aufgelistet hat, während des Bestehens der Mauer, also von 1961 bis 1989, 267 Menschen an der Mauer durch Schußwaffengebrauch zu Tode gekommen.

Auch diese Zahlen und Zeiträume muß man kennen, um sich ein nüchternes Bild machen zu können.

In beiden Fällen sind unbewaffnete Zivilisten getötet worden. Der Unterschied ist der, daß diejenigen, die aus der DDR flüchten wollten und zu diesem Zweck den Grenzstreifen betraten, wußten, daß sie sich auf ein lebensgefährliches Gelände begaben, während die serbische Zivilbevölkerung keine andere Wahl hatte als die, schutz- und hilflos dem Bombenterror der Nato ausgeliefert zu sein. Daß die serbischen Zivilisten nichts anderes wollten als die DDR-Flüchtlinge, nämlich leben, in Freiheit, darf man unterstellen.

Die Politiker pflegen, um von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken, darauf zu verweisen, daß die Richter der Bundesrepublik unabhängig seien, was heißen soll, daß die Politik die Entscheidungen der Gerichte nicht beeinflussen könne. Das ist so nicht richtig. Richtig ist, daß die Politik der Justiz nicht direkt hineinreden darf. So steht es im Grundgesetz. Richtig ist aber auch, daß die Politik der Justiz entscheidende Vorgaben setzen kann. Ob es die Justiz im Dritten Reich oder die in der DDR war: Die deutsche Justiz ist, jedenfalls in politischen Strafsachen, weniger durch eine der Staatsräson entgegengesetzte Denkweise als vielmehr durch die Neigung aufgefallen, den Wünschen und Vorstellungen der Regierenden gerecht zu werden, ungeachtet dessen, ob das mit der Rechtsordnung in Einklang zu bringen ist oder nicht.

So ist auch in der BRD die Richtung, die die Politik gerne hätte, aufgezeigt worden, als der damalige Bundesjustizminister Kinkel auf dem Richtertag 1991 vor den versammelten Richtern und Staatsanwälten erklärte, "daß es der Justiz gelingen müsse, das SED-System zu delegitimieren".

Und die heutige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Prof. Limbach, hat, als sie Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre Justizsenatorin in Berlin war, die Stimmung kräftig angefacht, indem sie sich mit Nachdruck für eine eine Strafverfolgung des "DDR-Unrechts" eingesetzt und die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert hat, sich davon nicht durch verfassungsrechliche Bedenken abhalten zu lassen. In ihrem Verfolgungseifer, so als wäre sie vom Senat als oberste Chefanklägerin bestellt worden, ging Frau Limbach so weit, daß sie 1993 dem Generalstaatsanwalt gegen dessen Intentionen eine Eingabe diktierte, mit der sie hoffte, eine Ihr nicht ins Konzept passende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin, des höchsten Gerichts in Berlin, doch noch durchkreuzen zu können. Erich Honecker war vom Verfassungsgericht auf freien Fuß gesetzt worden mit der einleuchtenden Begründung, es mache keinen Sinn und entspreche auch nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, gegen jemanden zu verhandeln, der so krank sei, daß er ohnehin bald sterben werde. Das ist heute - wegen der unbestreitbaren sonstigen Verdienste, die Frau Limbach
hat - leider in Vergessenheit geraten.

Über das "DDR-Unrecht" haben ausschließlich Richter aus der alten Bundesrepublik Recht gesprochen, ehemalige DDR-Juristen sind nicht beteiligt worden. Man darf sich nicht wundern, wenn dies den Gedanken hervorruft, die "Sieger" hätten geurteilt. Mit ehemaligen DDR-Juristen meine ich natürlich nicht gerade solche, die dem Obersten Gericht der DDR angehört haben und/oder durch eine stramme SED-Parteidisziplin aufgefallen sind. Aber es hätte andere Juristen beteiligt werden können, die nicht vorbelastet, aber im sozialistischen Rechtssystem der DDR ausgebildet waren. Sie hätten dazu etwas sagen können, wie das DDR-Recht ausgesehen hat und wie es auszulegen ist, das nach dem Einigungsvertrag unstreitig auf Straftaten anzuwenden ist, die in der DDR vor dem Beitritt der DDR zur BRD begangen worden sind. Das Rechtssystem in der DDR war ein völlig anderes als das in der BRD, es unterschied sich nicht nur im Wortlaut der einzelnen Paragraphen, sondern beruhte auf ganz anderen Prinzipien. Es war darauf ausgerichtet, die Verwirklichung und volle Entfaltung des Sozialismus zu fördern. Man mag das auf Grund der eigenen politischen Überzeugungen für falsch halten. Das ändert nichts an der Rechtswirklichkeit, wie sie in der DDR bestand. Mit dem Rechtssystem der DDR waren die Richter der alten BRD nicht vertraut. Sie haben kurzerhand, um das Problem zu umgehen, so getan, als hätte das Recht der DDR, wenn es schon nicht dem der BRD entsprach, dem Recht der Bundesrepublik entsprechen müssen.

Ihnen wird bekannt sein, daß die von Herrn Rechtsanwalt Walther und mir in den Strafanzeigen angesprochene Problematik eine wichtige Rolle in dem Verfahren spielt, das Egon Krenz und drei andere Beschwerdeführer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angestrengt haben. Natürlich weiß niemand, wie der Gerichtshof im Frühjahr dieses Jahres entscheiden wird. Aber eins steht schon jetzt fest: Der Gerichtshof sieht keineswegs den Antrag der Antrag der Bundesrepublik, die erhobenen Beschwerden abzuweisen, weil die erfolgten Verurteilungen verfassungsgemäß seien und auch nicht gegen die Bestimmungen der Europäischen Menschrechtskovention verstießen, als juristischen Selbstgänger an. Er hat deshalb am 08.11.2000 mit den Stimmen aller 17 Richter, also einstimmig, beschlossen, die Beschwerden für zulässig zu erklären. In der Begründung des Beschlusses in der Sache Krenz (die drei anderen Beschlüsse haben den gleichen Wortlaut) heißt es:

Der Beschwerdeführer wendet ein, daß daß die ihm zur Last gelegten Handlungen zur Zeit Ihrer Ausführung keine Gesetzesverletzung nach dem Recht der ex-Deutschen Demokratischen Republik oder nach dem Völkerrecht darstellen und daß seine Verurteilung durch deutsche Gerichte demnach eine Verletzung des Art. 7 §1 der Europäischen Konvention für Menschenrechte darstellt. Er beruft sich gleichfalls auf die Artikel 1 und § 2 der Konvention.

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Beschwerde ernsthafte Fragen in der Sache und im Recht aufwirft, die einer grundsätzlichen Prüfung bedürfen. Demzufolge wird sie eindeutig nicht für unbegründet im Sinne des Artikels 35
§ 4 der Konvention erklärt. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, daß keinerlei Grund für eine Unzulässigkeit vorliegt.

Die Justiz der Bundesrepublik hat, entsprechend den Vorgaben aus der Politik, das System der untergegangenen DDR abstrafen wollen und abgestraft. So verbrecherisch, wie es hierzulande dargestellt wird, können Egon Krenz und die anderen, die abgeurteilt worden sind, kann das System der DDR insgesamt, jedoch nicht gewesen sein.

Vor mir liegt die Abschrift eine Briefes, den Gerhard Schröder am 31.01.1986 als Mitglied des Bundestages an Egon Krenz, Mitglied des Politbüros, geschrieben hat. Ich gehe davon aus, daß der Brief - die Abschrift stammt offensichtlich aus dem Bundesarchiv - authentisch ist. Er hat - ich füge ihn als Anlage bei - folgenden Wortlaut:

 

Lieber Egon Krenz,

für Deinen freundlichen Willkommensgruß bedanke ich mich sehr herzlich. Es war schade, daß wir uns nicht persönlich treffen konnten. Aber das läßt sich sicher bei einer anderen Gelegenheit nachholen.

Die Gespräche in der DDR waren offen und informativ. Besonders war ich von Erich Honecker beeindruckt.

Durchstehvermögen, das Du mir wünschst, brauche ich in diesem arbeitsreichen Wahlkampfjahr ganz bestimmt. Aber auch Du wirst für Euren Parteitag und die Volkskammerwahlen sicher viel Kraft und vor allen Dingen Gesundheit benötigen. Beides wünsche ich Dir von ganzem Herzen.

Mit freundlichen Grüßen

Gerhard Schröder

 

Schreibt man so freundschaftlich an jemanden, den man für einen Totschläger hält und redet man so freundlich von einem System, das verabscheuungswürdig ist?

Wenn mein Brief etwas lang geworden ist, bitte ich das zu entschuldigen. Aber die Themen, die ich angeschnitten habe, lassen sich partout nicht in einigen wenigen Sätzen abhandeln. Natürlich verfolge ich mit meinen Brief ein Anliegen. Ich bitte Sie, sehr verehrter Herr Bundespräsident, sich mit der Autorität Ihres Amtes, aber auch Ihrer Person, dafür einzusetzen, daß, auf welchem Wege auch immer - durch eine Generalamnestie oder ein Straffreiheitsgesetz - die, die formal aus rechtlichen, tatsächlich aber aus politischen Gründen verurteilt worden sind, auf freien Fuß gesetzt werden und weitere Strafverfolgungsmaßnahmen wegen des "DDR-Unrechts" unterbleiben. Damit würden Sie das Versprechen einlösen, das sich aus ihrem Leitmotiv ableiten läßt: Versöhnen statt spalten. Formal sind Sie zwar für diese Angelegenheit nicht zuständig. Das weiß ich. Aber Ihre Worte haben Gewicht. Hier wären sie im Interesse der Aussöhnung und der Herstellung auch der inneren Einheit der ehemals beiden deutschen Teilstaaten angebracht. Diese Teilstaaten waren die Folge des von Deutschland angezettelten zweiten Weltkrieges. Der Kalte Krieg zwischen den Großmächten führte dazu, daß sie sich in feindlichen Lagern gegenüberstehen mußten.

Sie, sehr verehrter Herr Bundespräsident, könnten kraft Ihres Amtes und Ihres Wortes durchaus einiges in unserer Republik bewegen. Die Bundesrepublik sollte nach der Vorstellung ihrer Gründerväter ein freiheilich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat sein. Es sollte kein Staat sein, in dem "Selbstgerechtigkeit, Jagdfieber und Heuchelei" den Ton angeben. Ein Rechtsstaat zeichnet sich hauptsächlich dadurch aus, daß es nicht verschiedenes, sondern nur ein Recht gibt, das für und gegen alle gilt.

Sie haben am 26.01.2001 im Bundestag anläßlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eine ebenso gute wie bemerkenswerte Rede gehalten. Sie haben darauf hingewiesen, daß es während der nationalsozialischen Herrschaft nicht nur Deutsche gegeben hat, die als schweigende Mehrheit über das staatliche Unrecht hinweggesehen haben, sondern auch solche, die organisierten und individuellen Widerstand geleistet haben. Sie haben in diesem Zusammenhang - in dieser Reihenfolge - Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokkraten Christen und andere aufgezählt. Der Widerstand auch und insbesondere der Kommunisten gegen das Hitler-Regime ist in der Tat ein historischer Umstand, der nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Zu meinem politischen Standort: Ich bin kein Kommunist. Vielmehr gehöre seit Jahrzehnten derselben Partei an wie Sie. Die 68er- Bewegung - ich war damals schon Anwalt - hatte meine Sympathie. Als Student war ich Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

( Fiand )