MfS-Akten                                                                                                          Neues Deutschland    Donnerstag, 18. Mai 2000 Seite 5

 

Gauck und seine Behörde sind Anachronismen

Letzter DDR-Innenminister zu Berichten über ihm angetragenen Rechtsstreit

Von Dr. Peter-Michael Diestel

 

Den Rechtsstreit, den mir Herr Gauck laut Medien-Berichten angetragen hat, nehme ich mit Freuden und im Vertrauen zum Rechtsstaat an. Er bietet eine willkommene Möglichkeit Gaucks tatsächliche Rolle im Verhältnis zum MfS festzustellen sowie die öffentliche Debatte um die Stasi-Unterlagen und die Gauck-Behörde zu intensivieren.

Während sich der Chef einer Bundesbehörde von seinen Untergebenen öffentlich als Opfer bewerten und sie mitleidheischend auf seine >>leidvolle Vergangenheit<< verweisen lässt, geht es mir um vieltausendfaches Leid, das mit Stasi-Akten, der inquisitorischen Gauck-Behörde und dem rechtsstaatlich fragwürdigen Sondergesetz zu den MfS-Unterlagen vor allem in den neuen Bundesländern, aber auch in den alten Bundesländern verbreitet worden ist. Pastor Gauck (Stasi-Deckname: Larve) sollte sich nach seiner Verantwortung dafür fragen, dass nach Berichten seiner Behörde mehr Menschen den Freitod wählten, als jemals an der deutsch-deutschen Grenze an Opfern zu beklagen waren. Da zu fürchten steht, dass er dafür kaum oder kein Unrechtsbewusstsein aufbringt, werden ich und andere die Frage bis zu ihrer Klärung stellen. Der mecklenburgische Heimatdichter Jürgen Borchert soll der letzte sein, der sich nach Bescheiden der Gauck-Behörde im vergangenen Monat das Leben genommen hat.

Die Behörde zur Ausgrenzung von Menschen hat wesentlich dazu beigetragen, dass vor allem der öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern >>in einem unvorstellbaren Maße gesäubert worden ist. Kein anderer Staat hat je derart umfangreiche Berufsverbote erlassen wie die Bundesrepublik Deutschland.<< (Staatsrechtler und Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack in der >>Frankfurter Allgemeinen Zeitung<< von 11.05.2000) Dabei ist massenhaft Unrecht geschehen. Die seelische Not des Nächsten ließ den ehemaligen Pfarrer kalt.

Gauck bestreitet laut >>Freitag<< in einer eidesstattlichen Versicherung vom 03. Mai 2000, zu irgendeinem Zeitpunkt >>bewusst oder gewollt mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet<< zu haben. MfS-Hauptmann Terpe dagegen hat Gauck >>für seine Initiativen, für seine langfristige gute Zusammenarbeit ... für seinen hohen persönlichen Einsatz<< im Namen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gedankt. Zu klären sein wird: Lügt Gauck oder lügen die Akten? Ebenso der Umstand, dass Gauck nach Rostock gefahren ist und sich mit seiner Original-MfS-Akte rechtswidrig allein beschäftigt hat. Sie war von Hauptmann Terpe vollständig in das Rostocker Archiv gegeben worden, weist aber jetzt Lücken auf. Hat die Stasi Akten gefleddert? Das hat die doch wohl nur bei ihren Freunden gemacht!?

Die Gauck-Behörde mit ihrer jetzigen Aufgabenstellung und ihr gegenwärtiger Chef sind zehn Jahre nach der Wiedervereinigung zu Anachronismen geworden. Sie behindern massiv die deutsche Einheit im sensibelsten, im mentalen Bereich und gehören verabschiedet. Dazu könnte ein Rechtsstreit mit Herrn Gauck beitragen.

Bisher liegt mir nichts bezüglich einer Aufforderung von Gauck vor, ihn nicht als IM >>Larve<< zu bezeichnen. Da ich dies auch nicht getan habe, haben meine Presseanwälte auch heute Herrn Gauck unter Fristsetzung aufgefordert, von dieser Behauptung Abstand zu nehmen. Nach fruchtlosem Fristablauf werde ich meinerseits Klage erheben.

Potsdam, 16. 5. 2000